Leichenschau in Tiefkühltruhen: Martin Struppek (Martha Brewster) und Gaby Pochert (Abby Brewster); Bernd Geiling
(Jonathan Brewster); Raimund Widra (Dr. Einstein) und Gregor Trakis (Teddy Brewster) in “Arsen und Spitzenhäubchen“ im Saarländischen Staatstheater. © Foto Martin Sigmund (Saarländisches Staatstheater)
Stücke über die Endzeit
Endlich mal Komödie in diesen schweren Monaten der Zeitenwende! Achtzig Jahre hat er auf dem Buckel, der Krimi-Komödien-Klassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“ von Joseph Kesselring, verfilmt mit Gary Grant und Peter Lorre – unsterbliches Repertoire auf der Suche nach der buchstäblichen Leiche im Keller. Doch Pustekuchen! Für den neuen Schauspiel-Chef Christoph Mehler sind Spitzenhäubchen und die angelsächsische Tea-Time passé, er setzt auf schnelle Dekonstruktion des tragikomischen Geschehens. Wo sonst britische Salons mit Plüsch und Plunder die Bühne füllen, türmt Mehler ein Dutzend Tiefkühltruhen auf, dessen toter Inhalt dem ungezügelten Treiben der beiden mit Arsen, Zyankali und Strychnin experimentierenden Brewster-Schwestern Abby (Gaby Pochert) und Martha (Martina Struppek) zuzuschreiben ist. Wer als Mann ins Haus hereinschneit, lebt meistens nicht mehr lange! Die weitere Hausgesellschaft ist mit ihren schrillen Eigentümlichkeiten mit exentrisch nur ungenau beschrieben: Teddy Brewster (Gregor Trakis) hält sich zackig für Präsident Roosevelt und lebt im steten Kriegseinsatz. Dass ausgerechnet der kriminelle Jonathan Brewster (Bernd Geiling) mit seinem Busenfreund Dr. Einstein (Raimund Widra) mit einer Leiche in dieses Haus einrücken, lässt die Gefriertruhen überquellen. Das kostet Neffe Mortimer (Lucas Jason) seine Fassung, da kann man dann schon die eigene Hochzeit mit der staksigen Elaine (Verena Maria Bauer) aus den Augen verlieren. Christoph Mehler hat dem Stück leider auch die Lust ausgetrieben, sich dem tiefschwarzen Humor hinzugeben. So aber lässt er sein Personal nicht miteinander spielen, sondern nur deklamieren, schreien und kreischen – bisweilen wie ein griechischer Chor. Alles sehr stringent, alles Konzept, 80 Minuten kurz, aber nur selten ein überbordender Bühnenspaß.
„The End, my friend!“ ist eine Uraufführung von Rebekka David, entstanden im Austausch mit ihrem fünfköpfigen Ensemble. Wer da an einen Titel der „Doors“ denkt, ist schon auf dem richtigen Dampfer. „Totenfloß“ hieß 1986 ein Stück von Harald Mueller, gespeist aus der Angst vor der Atomkatastrophe. In den Tagen der Zeitenwende mit ihren Katastrophen-Szenarien fragt Autorin Rebekka David, wie umgehen mit dem drohenden Untergang? Was tun wir Einzelne, um beispielsweise die Klimakatastrophe aufzuhalten? Je nach Typus fallen die Antworten auf die Gefahren anders aus, egal ob sie von Hanne Laura Elster (Anna Jörgens), Leo Oktopus (Lea Ostrovskiy), Vera Anthropos (Verena Bukal) oder Silvio Kretschmer als Bubi „Noah“ Pippin kommen. Die darstellerisch begeisternde Christiane Motter kommt als umtriebige Immobilienmaklerin Christa Hund daher, die ihre Mitstreiterinnen von einem Gemeinwohlprojekt überzeugt: Zukunft für alle! Doch schon die häufigen Stromausfälle beleben die Ängste der Fünfer-Bande. Die sorgsam aufgebaute Wabenlandschaft (Anna Brandstätter) bietet immer weniger Rückhalt, sondern zerfällt. Angesichts der nahenden Katastrophe stellt sich schnell die Frage, wer ob seines Nutzens für die Gesellschaft das Recht hat, zu überleben. Und wenn am Ende das Streichholz darüber zu entscheiden hat? Lohnende zwei Stunden in der Alten Feuerwache!
Burkhard Jellonnek